PRESSESTIMMEN


Die Straße ist zwar auch kein schöner Ort, aber immer noch besser als zu Hause“, so oder ähnlich beschreiben alle Personen, die Maria Speth in ihrem Film porträtiert, ihre Entscheidung für ein Leben auf der Straße in deutschen Städten, überwiegend in Berlin. „9 Leben“ entzieht den schlichten Etiketten zum Thema Straßenkinder, Trebe und Obdachlosigkeit den Boden. Der Film vermeidet seichte Vertraulichkeit, zielt nicht aufs Repräsentative und schon gar nicht auf Kategorisierungen. Stattdessen widmet er sich mit bewunderungswürdiger Konzentration neun unterschiedlichen Biografien, fächert ein großes Spektrum von Details und Nuancen auf, macht Einzelpersönlichkeiten erkennbar. Das Setting dieses Schwarzweiß-Films ist bewusst karg, nüchtern, artifiziell. Alles Ablenkende wurde entfernt. Manchmal ist die Studiosituation erkennbar. Vor weißem Hintergrund erzählen die Personen jeweils einzeln ihre Geschichten: vom Leben früher bei den Eltern, vom Kick des Ausstiegs, vom Alltag auf der Straße – auch von erstaunlich pragmatischen Zukunftsplänen. Die Bilder, die aus den Erzählungen, auch dem Schweigen, dem Zögern oder den unterdrückten Tränen hinterm Kampfgesicht wachsen, sind dabei nachhaltiger als jede szenische Illustration. Die Geschichten kommunizieren untereinander und vor allem mit uns Zuschauern – sie bringen Empfindungen in Bewegung, indem sie Reflexe torpedieren.

(Dok Leipzig /Ralph Eue)


„Berlin runaways documentary takes a strikingly original approach to familiar material. (…) A bold and formally audacious treatment of ever-topical themes of homelessless, family dysfunction and troubled youth. (…) Fluidly edited by Speth herself, the film marks a belated and promising feature-documentary debut at 43 after acclaimed fictional works such as 2007's Madonnas.

The picture is evidently the product of a strong bond of trust between the director and her subjects.”

(The Hollywood Reporter, Neil Young)


„Überzeugende Ideen und offen dargelegte Strategien waren dagegen im erfreulich starken deutschen Wettbewerb zu finden. (...) Maria Speths „9 Leben“ etwa, der junge Ausreißer vorstellt, die auf der Straße leben. Doch die bisherige Spielfilmregisseurin geht nicht an die Punker-Treffplätze am Breitscheidplatz oder dem Alex, sondern lässt ihre gepiercten Heldinnen und Helden ihre Geschichten professionell ausgeleuchtet im Studio erzählen und verdichtet das Ergebnis zu einer raffinierten Komposition in lichtem Schwarz-Weiß. So werden aus den Schmuddelkindern von der U-Bahn-Treppe erstaunlich klar artikulierende Jugendliche, die sich mit Überlebenskunst und Mut aus schwierigen familiären Verhältnissen befreien.“

(Der Tagesspiegel, Silvia Hallensleben)


„Dass sich die jungen Leute so schonungslos vor der Kamera öffnen, hat sicher mit einem guten Casting zu tun. Speth scheint den Menschen vor der Kamera aber auch eine gewisse Sicherheit vermitteln zu können, die sie zum Erzählen animiert. Und so hört die Regisseurin vor allem zu. Wenn die Jugendlichen von ihren Ängsten, ihrem Selbsthass und traumatischen Ereignissen aus der Vergangenheit erzählen, kann das einem mitunter sehr nahe gehen.“

(critic.de, Michael Kienzl)


„Maria Speth (…) hört in 9 LEBEN vor allem zu. Ihre Gesprächspartner haben die Zeiten der Verwahrlosung schon hinter sich, sie blicken auf das Dasein auf der Straße zurück und können in der Regel gute Gründe dafür anführen, dass ihnen dieses Leben besser erschien als das Leben zu Hause. Was auf diese Weise vor allem erkennbar wird, in diesen Botenberichten aus dem Innersten der Gesellschaft, ist die Gefährdung, der viele Kinder und Jugendliche durch ihre unmittelbarsten Angehörigen unterliegen. Die Geschichten von Vernachlässigung und Missbrauch, häufig nur andeutbar in ihrer traumatisierenden Wucht, geben 9 LEBEN eine Dringlichkeit, die sich ästhetisch noch verstärkt. Denn Maria Speth hat mit dem Kameramann Reinhold Vorschneider ein dezidiert "reines", abstraktes Setting für diesen Film entworfen, in dem sich neben den Gesprächen über die neun Leben auch so etwas wie Kultur ergeben kann - es wird musiziert, fotografiert, das alles in Ergänzung jener ersten kulturellen Äußerung einer (wiederentdeckten) Sorge um sich selbst.“

(Der Standard, Bert Rebhandl)


“Her film, “9 Leben” (9 Lives) toggles between the lives of a number of youths, from mid-teens to early twenties, that left their broken families to beg on the streets of Berlin. The documentary, which just won a €4,000 prize at Leipzig’s DOK film festival, is filmed entirely in black and white, with each interview shot against a blank background. Through intimate close-ups of faces full of metal piercings, full-body portrait shots, and the sorrowful lament of a cello played by a 16-year-old street punk named Za, “9 Leben” offers a clean slate for their emotions.”

(The Local, Melanie Sevcenko)


„Speths Ziel war, obdachlose, (ex)drogensüchtige Straßenkids einmal anders zu zeigen. Also filmt sie die eloquenten Ausreißerinnen im Studio, gut ausgeleuchtet und gestylt. Dieser Kunstgriff öffnet den Raum für die Menschen hinter dem Klischee. Selbstbewusst erzählen die Protagonisten von ihrem Leben auf der Straße, von ihren Schwierigkeiten mit Drogen und der verständnislosen Gesellschaft, aber auch vom Zusammenhalt und der Freundschaft unter den Außenseitern.“

(Heute.at/Viennale)


„Als „obdachlose Streuner“ werden jene Jugendlichen gerne etikettiert, die Maria Speth in ihrem überzeugenden Dokumentarfilm „9 Leben“ vorstellt. Der Film wirkt ungemein „sauber“, nicht zuletzt durch das Arrangement der Protagonisten in einem Raum von strahlender Weiße. Doch wenn Toni, Krümel & Co. zu erzählen beginnen, dann sieht man förmlich den Dreck, aus dem sie sich befreit haben. Wenn das Elternhaus zur Hölle wird, ist die Straße anscheinend das bessere Zuhause.“

(Der Westen, Arnold Hohmann)